Die ewige Katastrophe

Nun also auch das Grundwasser: 10 000 mal höher als für Jod-131 zulässig sind die Strahlenwerte im Wasser 15 Meter unter dem Reaktorgebäude 1, meldet die japanische Nachrichtenagentur Kyodo. Wenn man davon ausgeht, dass sich diese Zahl auf den bisher mitgeteilten Jod-Grenzwert für Trinkwasser von 300 Becquerel pro Liter bezieht, dann entspricht das 3 Millionen Becquerel pro Liter. Das ist zwar nur etwas mehr als ein tausendstel des Messwertes des im Keller des Turbinengebäude 3 gefundenen kontaminierten Wassers. Aber es ist nicht mehr Wasser innerhalb der Anlage, sondern außerhalb.

Trinkt man einen Liter solchen Grundwassers, wird das Jod komplett vom Körper aufgenommen und verbleibt es in den Folgetagen im Körper, dann entspricht das einer zusätzlichen radioaktiven Strahlenbelastung von ca. 3 mSv. Das entspricht der natürlichen Strahlenbelastung von eineinhalb Jahren!

Bei einer Kuh wurde unterdessen eine Cäsium-Belastung mit 510 Becquerel pro Kilogramm gemessen. Das liegt zwar nur knapp über dem in Japan gültigen Grenzwert von 500 Becquerel pro Kilogramm, ist aber in doppelter Hinsicht beachtlich: Die Cäsium-Werte lagen in Japan bisher deutlich unter den Jod-Werten. Und die Kuh muss Futter gefressen haben, das deutlich höher belastet war, um binnen lediglich drei Wochen die aktuelle Kontamination zu erreichen.

Aber zurück zum Grundwasser: Unklar ist, wie genau die radioaktiven Spaltprodukte ins Grundwasser gelangt sind. Die schlimmste Version ist, dass sich heiße Atommüll-Lava in einem der Reaktoren durch Reaktordruckbehälter und das Containment aus Beton gefressen hat, und im Untergrund nun in Kontakt mit dem Grundwasser steht.

Die wahrscheinlichste Version ist, dass radioaktiv belastetes Wasser einfach versickert ist. In die Reaktordruckbehälter wird regelmäßig Wasser gepumpt, das irgendwo anders als heißes Wasser oder Dampf wieder herauskommen muss. "Dicht" ist in den Reaktoren schon seit Wochen nichts mehr, sondern alle Schleusen nach außen sind geöffnet. Ebenso werden die Reaktorgebäude von oben mit Wasser besprüht, so dass das Wasser direkt mit den in den Abklingbecken gelagerten Brennelementen (oder was davon übrig ist) in Berührung kommt.

Mit Sicherheit kam es in den Reaktoren von Block 1 bis 3 zur Kernschmelze, ebenso im Pool für abgebrannte Brennelemente von Block 4. und wahrscheinlich auch im Pool von Block 3. Der Kernbrennstoff liegt frei, das Kühlwasser löst Spaltprodukte daraus heraus und sammelt sich dann entweder als strahlende Brühe im Keller, läuft ins Meer (wo die Grenzwerte ebenfalls seit Beginn der Messungen dauerhaft überschritten werden) oder versickert im Erdreich.

Letztendlich verhindert man auf diesem Weg eine Variante des Kernkraftwerks-GAU, nämlich das unkontrollierte Durchbrennen des Kerns, indem man eine andere Variante des GAU gezielt herbeiführt, nämlich die unkontrollierte Freisetzung von hoch kontaminiertem Wasser! Hier wird der Teufel im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Im Kreislauf pumpen!?

Eine mögliche Chance für den Betreiber TEPCO, an diesem Zustand etwas zu ändern, wäre, das Kühlwasser im Kreislauf zu verwenden. Also das strahlende Wasser aus den Kellern und Kabelkanälen wieder in den Reaktor zu pressen oder in die Abkling-Pools (bzw. das, was davon noch über ist) einzuleiten. Doch bei jedem Durchlauf steigt die Radioaktivität, und das, was man danebenspritzt, läuft mit Milliarden Becquerel pro Liter dann weiterhin ins Meer oder versickert.

Also müsste man das Wasser vor der Wiederverwendung dekontaminieren: Ionentauscher können Cäsium, Jod und Cer herausholen, während Filter Plutonium-geschwängerte Staubteilchen zurückhalten. Doch offensichtlich hat man die dafür nötige Technologie nicht vor Ort. Ob andere Nationen sie kurzfristig bereitstellen können, ist unklar. Immerhin hat Japan wohl angefangen, internationale Hilfe anzunehmen.

Trockener Einschluss

Die andere Alternative ist, die Wasserspritzerei einzustellen und die Reaktoren trocken einzuschließen. Das bedeutet zwar zwangsläufig eine Wiederaufheizung und wahrscheinlich sogar ein erneutes Aufschmelzen des Kernbrennstoffs. Doch lassen sich tausend Tonnen zähflüssige Kernlava wahrscheinlich besser kontrollieren, als zehntausende Tonnen kontaminiertes Wasser. Russland hat es in Tschernobyl vorgemacht, dass der trockene Einschluss funktionieren kann: Die aufgeschmolzenen Brennelemente liefen zwar in mehrere Stockwerke unter dem Reaktor, aber sie durchbrachen nicht das Betonfundament.

In Fukushima hat die Brennelement-Lava wohl weniger Platz, wo sie hinlaufen kann. Dafür ist die Restwärmeproduktion drei Wochen nach dem Unfall schon deutlich zurückgegangen, und es kommt, anders als in Tschernobyl, nicht auch noch die Wärmeproduktion durch brennnenden Graphit-Moderator hinzu.

Natürlich müsste man in Fukushima einen Sarkophag wie in Tschernobyl bauen, genauer gesagt dessen XXL-Variante, die gleich vier Reaktorblöcke einschließt. Wahrscheinlich will TEPCO und die japanische Regierung genau das verhindern, und deswegen setzt man weiterhin auf Kühlen, Kühlen, Kühlen. Egal, wie viel Radioaktivität dabei noch ins Meerwasser und ins Grundwasser gelangt. Und mit der Aussicht, am Ende doch einen Sarkophag bauen zu müssen.

Update: 01.04.2011

Einige Stunden nach der Veröffentlichung der oben genannten Grundwasserwerte erklärte TEPCO "April, April" und zog die Messung laut Spiegel Online wieder zurück. Das ist nicht das erste Mal, dass TEPCO derartig schlampt. Dafür findet sich auf der Homepage von TEPCO nun eine Analyse, die für den "sub drain" in der Nähe von Block 1 eine Aktivität von 1,2 Millionen Becquerel pro Liter an Tellur-129 ausweist. Dieses hat eine Halbwertszeit von unter 70 Minuten und zudem einen eher kleinen Anteil an den bei der Kernspaltung erzeugten Spaltprodukten von nur 1 Prozent.

Drei Wochen nach der Abschaltung eines Kernkraftwerks kann von Tellur-129 nichts, wirklich nichts mehr vorhanden sein, mit Ausnahme von dem, was aus dem längerlebigen angeregten Zustand Tellur-129m laufend neu erzeugt wird. Für Tellur-129m weißt TEPCO jedoch einen Messwert von lediglich 8700 Becquerel pro Liter aus. Da auch erhebliche Werte an Iod-132 (2 Stunden Halbwertszeit) und Lanthan-140 (2 Tage) gemessen worden sein sollen, könnte man auch eine Re-Kritikalität in Betracht ziehen, also eine laufende Kettenreaktion, die ständig neue Spaltprodukte erzeugt. Freilich müsste diese, um die gemessenen Tellur-Konzentrationen zu erzeugen, in einer Intensität ablaufen, für die die Anlage insgesamt viel zu ruhig ist.

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Veröffentlichung

31.03.2011 23:00 Uhr

gau-japan.de

Blog-Einträge

Weitere Quellen und Informationen

- Nationale Medien

- Internationale Medien (englisch)

- Originalquellen

- Blogs etc.

- Fachmedien

- Explosion in Fukusima Daiichi