Hochradioaktives Wasser ...

Block 3 des stark beschädigten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi
Block 3 des stark beschädigten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi
Das vordere, längliche Gebäude enthält die Turbine, dahinter steht das Gebäude mit dem Kernreaktor
Bild von digitalglobe vom 18.03.2011

... im Block 3 des schwer beschädigten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi stand sicher in direktem Kontakt mit nuklearem Brennstoff aus dem Reaktorkern. Denn laut der von TEPCO bekanntgegebenen Analyse einer Probe des radioaktiven Wassers ist dieses hoch mit Jod-131 belastet: 1,2 Milliarden Becquerel pro Liter, fast ein Drittel der Gesamtaktivität der Probe. Jod-131 zerfällt recht schnell nach dem Abschalten eines Kernkraftwerks: Binnen acht Tagen ist die Hälfte weg, nach hundert Tagen verbleiben sogar weniger als 0,2 Promille der anfänglichen Aktivität. Wäre das Wasser nur mit nuklearem Brennstoff aus den Brennstäben im Abklingbecken in Kontakt gewesen, könnte es kaum radioaktives Jod-131 enthalten, denn dieses ist in den Brennelementen im Abklingbecken längst zerfallen.

Noch stärker als Jod-131 strahlt in der Probe aus Block 3 von Fukushima aber Cer-144, mit 2,2 Milliarden Becquerel pro Liter. Da Cer-144 eine Halbwertszeit von ca. neuneinhalb Monaten hat, wird dessen radioaktive Strahlung auch nur langsam zurückgehen. Zwar ist Cer-144 selber ein vergleichsweise "weicher" Beta-Strahler (die Zerfallsenergie beträgt 0,319 MeV, im Vergleich zu 0,971 MeV bei Jod-131), der allerdings zu Praseodym-144 zerfällt, das mit kurzer Halbwertszeit (knapp über 17 Minuten) und hoher Energie (2,997 MeV) weiterzerfällt.

Praseodym-144 ist in der Analyse nicht gesondert aufgeführt; wahrscheinlich wurde es von dem verwendeten Analyse-Gerät aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit mit Cer-144 zu einer Signatur zusammengefasst. Aufgrund seiner hohen Zerfallsrate und der zusammen mit dem Tochternuklid Praseodym-144 sehr hohen Zerfallsenergie ist Cer-144 in der genannten Wasserprobe das mit Abstand dominierende Radionuklid.

Die intensive Beta-Strahlung von Cer-144, Praseodym-144 und Jod-131, die zusammen ca. 90 Prozent der Gesamtstrahlung des Wassers ausmachten, hat die Verbrennungen an den Füßen der Arbeiter bewirkt, die durch das verstrahlte Wasser wateten. Es bleibt zu hoffen, dass ihnen die oft tödlich verlaufende Strahlenkrankheit erspart bleibt. Ihr Krebsrisiko - auch für nicht direkt mit dem Wasser in Kontakt gekommenen Körperteilen - ist aber stark erhöht.

Woher kommt das Wasser?

Aus der gemessenen Aktivität ergibt sich, dass in einem Liter des kontaminierten Wassers 19 Mikrogramm Cer-144 gelöst sind. Zum Vergleich: In abgebrannten Brennelementen, die jüngst einem Reaktor entnommen worden sind, finden sich ca. 250 Milligramm Cer-144 pro Kilogramm, also die über 10.000-fache Konzentration. Dennoch: Wären die Brennstoffhülsen noch intakt, wäre die Cer-Konzentration noch viel niedriger. Es ist somit definitiv in Reaktor 3 zu einer Kernschmelze gekommen.

Weiter stellt sich die Frage, wie das Wasser aus dem Reaktordruckbehälter im Reaktorgebäude in den Keller des danebenstehenden Turbinengebäudes gelangt ist. Hierzu gibt es zwei Erklärungsmodelle:

Keines der beiden Szenarien beruhigt. Der Reaktorkern ist auf jeden Fall zu erheblichen Teilen aufgeschmolzen. Im ersten Fall ist zwar der Reaktordruckbehälter noch intakt. Die Chancen, das reguläre Kühlsystem aber wieder in Betrieb nehmen zu können, wenn überall hoch radioaktiv belastetes Wasser herumläuft, sind gleich null. Im zweiten Fall gibt es neben dem radioaktiven Wasser noch glühende, zähflüssige Kern-Lava, die sich ihren Weg bahnt.

Ähnlich hoch belastetes Wasser wurde zwischenzeitlich auch an den Blöcken 1 und 2 gefunden. Unklar ist, ob das Wasser aus Block 3 dorthin gelaufen ist, oder ob es bereits vergleichbare Schäden in den Blöcken 1 und 2 gibt.

Warum hört man sonst so wenig über Cer-144?

In der verseuchten Wasserprobe aus Fukushima Daiichi ist Cer-144 das dominierende radioaktive Nuklid. Dennoch hat man im Zusammenhang mit Reaktorunfällen bisher wenig von Cer-144 gehört. Der Grund dafür ist, dass Cer einen sehr hohen Schmelpunkt (über 1 000 °C) und Siedepunkt (über 3 600 °C) hat. Die bekannten Problemnuklide Jod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137 sind bei Temperaturen, bei denen Cer-144 noch nicht einmal flüssig wird, schon längst verdampft! Glühen ungekühlte Brennelemente bei einer Temperatur von zum Beispiel 1 000 °C, wie über Tage hinweg in Tschernobyl der Fall, werden große Anteile des enthaltenen Jods und Cäsiums freigesetzt, aber kaum Cer. Sinken die Temperaturen beim Aufsteigen der mit Jod und Cäsium belasteten heißen Luft wieder, kondensieren Cäsium und Jod zu sehr kleinen Aerosolpartikeln, die der Wind über weite Strecken tragen kann.

Wenn, wie in Fukushima geschehen, Wasser in direktem Kontakt mit dem Atommüll steht, kann hingegen neben Jod und Cäsium auch das Cer-144 herausgelöst werden. Siedet solch belastetes Wasser, dann bleibt das Cer im Wasser, während Jod und Cäsium zum Teil auch in den Dampf gehen. Wird später der Dampf in die Umgebung freigesetzt (so wie in den ersten Tagen des Japan-GAUs in Fukushima oder in Harrisburg/Three Mile Island), wird man wiederum kaum Cer darin finden.

Läuft hingegen das Cer-belastete Wasser aus dem Kernreaktor ins Grundwasser oder ins Meer, dann hat man ein Problem. Ein Liter des kontaminierten Wassers aus dem Keller des Turbinengebäudes von Block 3 in Fukushima reicht aus, um eine Million Liter Grundwasser mit 2 200 Becquerel pro Liter zu belasten, dem Vielfachen des Grenzwertes!

Anders, als in vielen Medien und Foren gebetsmühlenartig wiederholt, ist Plutonium hier wahrscheinlich kein großes Problem. Zum einen würde der Kern immer Plutonium enthalten, egal, ob MOX-Brennelemente verwendet wurden oder nicht, denn Plutonium bildet sich im laufenden Betrieb. Zum anderen ist Plutonium schlecht wasserlöslich; zusammen mit der im Vergleich zu Cer-144 30 000-fachen Halbwertszeit ergibt sich eine vergleichbar geringe Aktivität durch Plutonium.

Wohin?

Cer-144 ist in der aktuellen Phase - zwei Wochen nach der Abschaltung - eines der aktivsten Nuklide, deren Zerfall in den Brennelementen die problematische Nachwärme erzeugt. In den ersten Tagen nach der Abschaltung dominieren noch andere radioaktive Spaltprodukte wie das Jod-131, die jedoch deutlich schneller zerfallen. Die neuneinhalbmonatige Halbwertszeit des Cer-144 und die noch längere Halbwertszeit weiterer Nuklide bewirkt nun, dass die Restwärme in den nächsten Wochen und Monaten kaum weiter zurückgeht.

Die vor vier Monaten in das Abklingbecken verlagerten Brennelemente von Block 4 sind daher aktuell kaum minder gefährlich als die Brennelemente in den Kernen von Block 1 bis 3. Dass Block 4, den man bisher kaum mit Wasser besprüht hat, und in dem es sicher eine Kernschmelze im Abklingbecken gab, sich im Vergleich zu Block 1 bis 3 dennoch vergleichsweise ruhig verhält, ist ein Zeichen dafür, dass der trockene Einschluss a la Tschernobyl (Sarkophag) vielleicht sogar besser ist, als der in Fukushima derzeit versuchte "nasse" Einschluss. Denn letzterer kann offensichtlich das derzeit dominierende Cer-144 mobilisieren und damit zusätzliche Probleme verursachen.

Update: Jod-134!?

Block 2 des stark beschädigten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi
Block 2 des stark beschädigten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi
Das vordere, längliche Gebäude enthält die Turbine, dahinter steht das außen relativ unbeschädigte, dafür innen umso mehr beschädigte Gebäude mit dem Kernreaktor
Bild von digitalglobe vom 18.03.2011

Am 27. März laufen Meldungen über den Ticker, dass im Turbinengebäude zu Reaktor 2 kontaminiertes Wasser gefunden wurde, dessen Strahlenbelastung abermals um den Faktor 1 000 höher sein soll. Die von NHK World veröffentlichte Analyse von TEPCO ergab folgende Werte: 2,9 Milliarden Becquerel Jod-134, 13 Millionen Becquerel Jod-131, je 2,3 Millionen Becquerel Cäsium-134 und Cäsium-137. Es wird nicht genannt, auf welches Volumen sich die Becquerel-Zahlen beziehen, es ist aber davon auszugehen, dass diese pro Kubikzentimeter sind.

Pro Liter ergeben sich dann folgende Werte: 2,9 Billionen Becquerel Jod-134, 13 Milliarden Becquerel Jod-131 und je 2,3 Milliarden Becquerel Cäsium-134 und -137. Cer-144 wird nicht genannt.

In dem angeblich tausendfach stärker belasteten Wasser findet sich den Zahlen zufolge "nur" die zehnfache Konzentration an Jod-131. Die zusätzliche Aktivität geht also fast ausschließlich auf das Konto von Jod-134. Dieses hat aber eine Halbwertszeit von gerade mal 52,5 Minuten! 16 Tage nach der Abschaltung der Reaktoren dürften nicht einmal mehr homöopathische Mengen dieses Nuklids messbar sein!

Wie üblich, konnte man angesichts der Informationslage nur spekulieren, wie diese Werte zustande gekommen waren:

Es bleibt also zu hoffen, dass es sich hier "nur" um einen Messfehler handelt, und die Probe aus Turbinengebäude 2 am Ende "nur" zehnfach stärker kontaminiert ist als die aus Turbinengebäude 3, worauf die anderen Zahlenwerte (Jod-131, Cäsium-134 und -137) schließen lassen.

2. Update: Messfehler?

Inzwischen hat TEPCO nach Medienberichten die anfangs veröffentlichten eigenen Zahlenwerte zurückgezogen. Möglicherweise seien radioaktive Substanzen falsch zugeordnet oder Zahlenwerte falsch umgerechnet worden. Im Endeffekt war die Wasserprobe aus Reaktor 2 "nur" zehnfach höher belastet als die Probe aus Reaktor 3. Egal, wo genau der Fehler passiert ist: Dass TEPCO schon an einer Strahlenmessung scheitert, verheißt nichts gutes. Es bleibt zu hoffen, dass TEPCO endlich mehr in- und ausländisches Expertenwissen hinzuzieht, und alle, wirklich alle, verfügbaren Informationen klar auf den Tisch legt.

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Veröffentlichung

25.03.2011 13:30 Uhr

gau-japan.de

Blog-Einträge

Weitere Quellen und Informationen

- Nationale Medien

- Internationale Medien (englisch)

- Originalquellen

- Blogs etc.

- Fachmedien

- Explosion in Fukusima Daiichi